Unserer ersten Fahrt nach Armenien wurde mit viel Vorfreude und Neugierde entgegengefiebert. Als assyrischer Jugendverband verbindet uns aufgrund unserer gemeinsamen tragischen Historie des Genozids 1915 als Volksgruppen viel miteinander, gleichzeitig gibt es in den beiden Kulturen auch sehr viel Unterschiedliches und Vielfältiges zu entdecken. So haben wir uns gefreut, dass unsere 14-köpfige Gruppe auch armenische Teilnehmer*innen hatte und wir so in unserer Reise vom 03. bis 10. Oktober einen ersten, aber aufrichtigen Einblick in die armenische Geschichte, Kultur, Sprache und das Land mit seinen historischen Stätten erhalten konnten. Unser Reiseziel war Jerewan, das Programm hielt jedoch noch viel mehr als die Erkundung der Hauptstadt in Aussicht.
In den ersten beiden Tagen der Fahrt führte uns unsere Reise in zwei kleine, mehrheitlich assyrisch bewohnte Dörfer namens Arzni (nördlich von Jerewan) und Verin Dvin (süd-östlich von Jerewan). Begleitet wurden wir dabei vor Ort von Diana Rouel (ehemaliges AJM-Vorstandsmitglied), die selbst einige Jahre in Verin Dvin gelebt hat, und uns somit bei der Planung und Übersetzung vor Ort unterstützen konnte. In beiden Dörfern hatten wir die Möglichkeit die örtlichen Schulen und die Bürgermeister zu besuchen und uns über die Situation, Lebensbedingungen und Bildung junger Menschen, insbesondere junger Assyrer*innen, in Armenien einen Einblick zu verschaffen.
Interessant war dabei für die Gruppe, dass sowohl die Direktorinnen als auch Bürgermeister der Dörfer Assyrer*innen waren und, dass es einen offiziellen aramäischen Muttersprachunterricht für alle Schüler*innen, einschließlich der Armenier*innen, dort gibt. Dabei lag der Fokus unserer Besuche stets auf dem Austausch mit den dort lebenden Jugendlichen. So freute es uns besonders, dass wir in Arzni Aktivisten der örtlichen Jugendgruppe „Gabbara“ trafen, die die Kulturpflege unter jungen Assyrer*innen in Armenien fördern möchte. In Verin Dvin hatten wir – neben dem Zusammenkommen mit den Jugendlichen des Dorfes am Abend – zusätzlich die Gelegenheit die Ergebnisse der Spendenaktion, welche von Issa Demir, einem assyrischen Aktivisten und Vorstandsmitglied unserer Partnerorganisation der Assyrian Youth of Sweden, für die Schule ins Leben gerufen wurde, und für die wir auch als AJM Dachverband gespendet haben. Der Fokus des Projekts lag vor allem in der Renovierung des Gemeinschaftssaals, in dem unsere Gruppe eine Vorführung der Schüler*innen bewundern durfte. Dabei waren die präsentierten Gedichte, Gesänge und Tänze aus der armenischen, russischen und assyrischen Kultur. Anschließend wurde unter Führung des Pastors der assyrischen Kirche des Ostens die örtliche Kirche besucht, welche bereits vor ca. 400 Jahren erbaut wurde.
Ein weiteres Highlight der Fahrt war die Teilnahme an einer armenisch-assyrischen Hochzeit in Jerewan zu der unsere Jugendgruppe eingeladen wurde. An dieser Stelle möchten wir dem jungen Paar, Hovhannes und Anahid, nochmals alles Gute für ihre gemeinsame Zukunft wünschen und uns bedanken, dass die gesamte Gruppe an diesem besonderen Ereignis teilnehmen durfte. Zur Vorbereitung auf die Hochzeit, nahmen wir an einem traditionell armenischen Tanzworkshop, welcher für die Gäste des Brautpaares organisiert wurde, teil. Die Trauung fand in der Zion Kirche des Saghmosavank Klosters statt, welche in einer wunderschönen Naturlandschaft gelegen ist. Anschließend wurde in Jerewan gefeiert, dabei überraschte unsere Gruppe mit einem vorbereiteten assyrischen Folkloreauftritt am Abend.
Der Sonntag danach diente als Tag, um die Hauptstadt gemeinsam zu erkunden. Bevor wir jedoch die Stadt-Ralley begonnen haben, stand noch ein für uns wichtiger Programmpunkt auf dem Plan – der Besuch der armenischen und assyrischen Genozid Denkmäler. Die Gruppe machte sich erst auf dem Weg zum Zizernakaberd, welches das armenische Denkmalkomplex ist und zum Gedenken der Opfer des Genozids 1915 errichtet wurde. Dies war ein sehr bewegender und außergewöhnlicher Moment für alle Teilnehmer*innen, welche mehrheitlich in Schweigen die Atmosphäre des Ortes und der außergewöhnlichen Architektur aufnahmen und Blumen zum Gedenken der Genozid Opfer niederlegten. Anschließend wurde das dortige Museum mit einer Führung besucht, in dem auch über die Assyrer*innen berichtet und allen Opfern des Völkermords gedenkt wird. Danach fuhr die Gruppe zum assyrischen Genozid Denkmal, welches 2012 errichtet wurde und ein wichtiger Teil für die Erinnerungskultur der dortigen Assyrer*innen, aber auch generell für das öffentliche Bewusstsein der armenischen Gesellschaft ist. Dort wurde sich nochmals die Zeit genommen den verstorbenen Vorfahren zu gedenken und Blumen niederzulegen.
In den darauffolgenden zwei Tagen nahmen wir gemeinsam mit der internationalen Hochzeitsgesellschaft an einer Tour durch die historischen Gedenkstätten in Armenien teil. Dabei standen folgende Stopps auf dem Programm: Das armenische Kloster Khor-Virap, von dem man den Berg Ararat bewundern kann. Der Garni-Tempelkomplex, welches aus dem vor-christliche Armenien und dem Heidentum stammt. Des Weiteren besichtigte die Gruppe die beiden armenischen Klöster Geghard und Noravank, welche zum UNESCO Weltkulturerbe gehören. Ein Besuch des Sevansees, welcher der größte See des Kaukasus ist, blieb auch nicht aus. Besonders beeindruckend war die Reise nach Tatev am zweiten Tag, einer Stadt mit der längsten Seilbahn der Welt, welche zu dem gleichnamigen Kloster Tatev führt. Während der Fahrten hatte die Gruppe die Möglichkeit sich mit Jugendlichen aus unter anderem Deutschland, Australien, Amerika, den Niederlanden und Frankreich auszutauschen und zu vernetzen.
Auf der gesamten Fahrt war es uns wichtig, in jedem Dorf, das wir besuchten, die Jugendlichen vor Ort kennenzulernen. So wurde eine Abschlussfeier von Seiten der AJM-Gruppe geplant zu der alle Jugendlichen, mit denen wir uns über die Fahrt hinweg vernetzt haben, eingeladen wurden. Diese Feier fand am letzten Tag in Arzni statt. Im Rahmen dessen gaben wir als AJM einen Einblick in unsere Arbeit und erhielten auch einen Einblick in die Aktivitäten der örtlichen Jugendgruppe Gabbara. Ziel war es dabei von den Jugendlichen zu erfahren, welche Projekte sie anstreben, um mögliche Kooperationsmöglichkeiten zu finden. Abgeschlossen wurde der Tag und somit auch unsere Fahrt – traditionell – mit Essen, interessanten Gesprächen und vor allem viel Tanz!
– Ein Erfahrungsbericht der Gruppenleitung: Ninwa Yonan